Die Mitgliederversammlung des Karlsruher SC ist eine der wichtigsten jährlichen Veranstaltungen des Vereins. Hier ist alles vertreten, was beim KSC Rang und Namen hat. Zum Beispiel das Präsidium, der Verwaltungsrat und andere Gremien sind zugegen. Ein Großteil der Profimannschaft mit Trainer Eichner, die komplette Damenmannschaft, ehemalige Präsidenten wie Ingo Wellenreuther und Paul Metzger, der finanzkräftige "Freundeskreis" mit zahlreichen Sponsoren aber auch einfachen Mitglieder trifft man hier an.
Dieses Jahr kamen 1.243 Mitglieder zu der Versammlung. Allerdings kamen sie nicht so an, wie sie es sich gewünscht haben. Da die elektronische Einlasskontrolle nicht funktionierte, musste auf das alte Verfahren zurückgegriffen werden. Jedes Mitglied wurde nach Kontrolle von Mitgliedsausweis und Personalausweis hereingelassen, was auch relativ schnell vonstattenging. Doch bei der Ausgabe der Stimmunterlagen wurde dann das Chaos sehr Zeitraubend. An einer langen Theke bekamen die Mitglieder ihre Wahlzettel ausgegeben und jeder musste nochmals seine Ausweise vorzeigen, wo dann der Name auf einer mehrere Seiten langen Liste abgehakt wurde. Damit es schneller gehen sollte, gab es mehrere Ausgabepunkte - nach Alphabet sortiert. Leider war es für niemanden ersichtlich, wo er sich anstellen musste. Erst nach einer halben Stunde brachten die Verantwortlichen es dann fertig, die jeweiligen Anfangsbuchstaben gut sichtbar zu platzieren, was den Ablauf dann um einiges beschleunigte. Nicht wenige hatten sich zuvor in der falschen Reihe angestellt und mussten erneut zurück in die richtige Warteschlange. Dass es hierbei bereits zu einigen aufgebrachten Gemütern kam, ist gut nachzuvollziehen und ich bemerkte schnell, dass dies ein langer und interessanter Abend wird. Nach 45 Minuten Verspätung konnte dann die Mitgliederversammlung starten.
Schon im Vorfeld zeichnete sich ab, dass diese MGV sehr viel Brisanz beinhalten würde. Gegen Vizepräsident Martin Müller, der wegen seiner öffentlichen Äußerungen viel an Vertrauen bei den Fußballanhängern verloren hat, wurde ein Antrag auf Abwahl gestellt. Müller hatte vertrauliche Interna an die Presse weitergegeben und wollte damit erreichen, dass die Entlassung von Sportdirektor Oliver Kreuzer im April dieses Jahres auch in den Medien nach seinen Wünschen dargestellt wird. Die Art und Weise, wie diese Entlassung vonstattenging, war gespickt von handwerklichen und vor allen Dingen menschlichen Fehlern und könnte den Verein noch einen siebenstelligen Betrag kosten!
In weiteren Anträgen wurde auch die Abberufung des Präsidenten und Beiratsvorsitzenden Holger Siegmund-Schultze und der Beiratsmitglieder Dr. Christian Fischer und Thomas H. Hock gefordert. Hätte eine Abwahl der beiden Präsidenten stattgefunden, wäre der Verein nahezu ohne Vorstand gewesen!
Um dies zu verhindern, hielt zuvor der Vorsitzende des Mitgliederrates Dieter Gläser eine ausführliche und emotionale Rede. Hierbei erklärte er, dass unter den Vorständen des Mitgliederrates und des Vorstandes des Karlsruher SC ein Dokument erarbeitet worden sei, das alle Beteiligten unterschrieben haben. Hierin sei unter anderem erklärt, dass in Zukunft über interne Angelegenheit eine Verschwiegenheitspflicht bestehe und es auf jeden Fall vermieden wird, weitere Interna nach außen und vor allen Dingen an die Presse gelangen zu lassen. Er plädierte dafür, dass die Mitglieder nun dafür abstimmen sollen, dass die Tagesordnungspunkte 15 und 16, also die Abwahlanträge gegen Vizepräsident Martin Müller, Präsident Holger Siegmund-Schultze, sowie Thomas H. Hock und Dr. Christian Fischer aus dem Beirat der KSC GmbH & Co. KGaA, gestrichen werden und somit die Abstimmungen entfallen. Viel zu wichtig sei der Zusammenhalt im Verein und weitere Eskapaden könnten fatale Auswirkungen zur Folge haben.
Es sollte mit den ausgegebenen Stimmzettelchen abgestimmt werden. Jedes Mitglied hatte drei dieser Zettel. Einen blauen für "ja", einen roten für "nein" und einen weißen für "Enthaltung". Da der Vorsitzende des Wahlausschusses, Sathia Lorenz, der die Versammlung führte, keine klare Mehrheit anhand der Stimmzettel erkennen konnte und auch der zu Hilfe gerufene stellvertretende Vorsitzende des Wahlausschusses, Günter Seith, nicht mit Gewissheit sagen konnte, welche Farbe der Zettel dominierte, kam es zu einer historischen Besonderheit.
Der Vorsitzende des Wahlausschusses setzte ein bisher noch nicht beim KSC verwendetes Abstimmverfahren ein. Viel zu wichtig war diese Entscheidung für die Zukunft des Vereins. Außerdem bestand die große Gefahr, dass im Nachhinein die Entscheidung hätte angezweifelt werden können.
Und da die moderneren Methoden an diesem Abend schon alle versagt haben, wusste sich Sathia Lorenz nur mit dem altbewährten "Hammelsprung" zu helfen. Noch heute wird dieses Verfahren im Bundestag angewandt und gilt als zuverlässig.
Alle stimmberechtigten Mitglieder des Karlsruher SC mussten den Versammlungsraum der Schwarzwaldhalle verlassen und sich ins Foyer begeben, um dann durch das jeweilige Tor den Saal wieder zu betreten. So sollte die genaue Stimmzahl durch Auszählung erfolgen.
Also machten sich 1.117 Mitglieder auf den Weg nach draußen, was zu etwas lauteren Unmutsäußerungen, viel Gelächter und ordentlicher Dynamik unter den Anwesenden führte. Ich ging dabei ganz nach oben an die Garderobe, um einen besseren Überblick auf das Geschehen zu haben und eine der Garderobenfrauen fragte mich, ob die Veranstaltung denn schon zu Ende sei. Leider musste ich sie enttäuschen und erklärte ihr das ganze Prozedere. Vorsichtig bereitete ich sie darauf vor, dass sie heute wohl etwas länger arbeiten müsse.
Nun sollten wir Mitglieder wieder nacheinander in den Sitzungssaal kommen. An jedem Eingangstor befanden sich inzwischen Wahlhelfer, die klare Anweisungen gaben und die jeweiligen Stimmzettel hoben, damit jeder wusste, wo er hin musste. An Tor 1 kamen die Ja-Stimmen herein, am nächsten die Nein und am letzten die Enthaltungen.
Und so stellte sich am Ende dieser Abstimmung heraus, dass 833 Mitglieder für die Streichung der beiden Tagesordnungspunkte stimmten. Somit waren die Abwahlanträge vom Tisch. Als endlich wieder etwas Ruhe eingekehrt war, konnte zum nächsten TOP übergegangen werden.
Nachdem die formalen TOPs "Genehmigung der Geschäftsordnung" und "Bekanntgabe der Niederschrift der letzten MGV" abgehakt waren, präsentierte der Präsident seinen Jahresbericht. Dieser wurde begleitet mit ein paar emotionalen Fotos aus der zurückliegenden Saison. Als dann ein Bild vom jubelnden Daniel Gordon gezeigt wurde, brach ein lauter Jubel in der Menge aus, welcher von "Gordi"-Rufen begleitet wurde. Da der vortragende Präsident seinen Blick in die Menge gerichtet hatte und nicht sah, was auf der Leinwand projiziert wurde, kam eine kurze Unsicherheit aufgrund der plötzlich auftretenden Unruhe in seinem Redefluss auf.
Danach hat Geschäftsführer Michael Becker die Jahresberichte des KSC e.V. und der Profifußball-Tochtergesellschaft KSC GmbH & Co. KGaA vorgestellt. Zum einen konnte er einen Zuwachs der Mitgliederzahl von 8.350 auf mittlerweile 14.500 präsentieren. Auch die Dauerkartenverkäufe sind von 6.000 auf 14.000 gestiegen! Zum Vergleich wurden hierbei die Zahlen der Saison 2019/20, in der die Ausgliederung des e.V. abgestimmt wurde, genommen. In diesem Zeitraum wurde auch der Gesamtumsatz von 22,5 Millionen auf 43 Millionen Euro gesteigert!
Diesem Tagesordnungspunkt folgte eine Talkrunde mit Sebastian Freis (Bereichsleiter Sport) und Michael Bischof (Bereichsleiter Entwicklung / Scouting / Analyse), geführt vom bekannten Moderator Martin Wacker. Hierbei wurde viel über die Pläne und Fortschritte im Verein erzählt und Hoffnung verbreitet, dass die künftigen Einnahmen im Transfergeschäft wesentlich höher ausfallen sollen.
Anschließend sprach Michael Becker noch von einem strukturellen Defizit durch fehlende Transfererlöse. So hat der Verein in der zurückliegenden Saison lediglich 400.000 € in diesem Bereich verbuchen können. Die Ligakonkurrenten habe aber in diesem Bereich einen Durchschnitt von 4 Millionen pro Spielzeit! Dadurch entstand dem KSC ein Gesamtdefizit von 728.000 € in der letzten Saison!! Dies scheint allerdings vor lauter Zahlen und vielen Präsentationsfolien völlig an der Menge vorbeigegangen zu sein.
Danach folgte der Rückblick des Vorsitzenden des Mitgliederrates Dieter Gläser. Nach vielen positiven Worten fand er auch Kritik an Martin Müllers Verhalten in jüngster Zukunft und sprach ihm nach diversen Satzungsverstößen eine Rüge aus und empfahl den Mitgliedern, ihn nicht zu entlasten.
Nach der Fragestunde für die anwesenden Mitglieder, in der einige unangenehme Fragen an das Präsidium gerichtet wurden, folgte dann die Entlastung der jeweiligen Vorstände. Bisher wurden bei Mitgliederversammlungen stets das gesamte Präsidium entlastet. Doch dieses Mal wurden die Präsidenten einzeln entlastet, was bei Pilarsky und Siegmund-Schulze problemlos erfolgte. Da bei Müller die Anzeige der Stimmkärtchen nicht für ein sicheres Resultat ausreichte, wurde ein erneuter Hammelsprung durchgeführt. Die Garderobenfrau freute sich wieder umsonst, dass dann endlich mal Feierabend wäre - mittlerweile hatten wir schon 23 Uhr - und das Spektakel kam in den zweiten Akt.
Bei dieser Abstimmung wurde Martin Müller nicht entlastet und es kam zu einer deutlichen Mehrheit der "Nein"-Stimmen. Dieser erklärte sein Fehlverhalten damit, dass er meinte dem Verein so zu helfen. Eine Entschuldigung für seine Vorgehensweise war nicht zu vernehmen. Lediglich die Aussage, dass er so etwas nicht mehr machen würde, da er bemerkte, dass dies nicht zum erhofften Ergebnis geführt habe.
Immerhin - so habe ich erst im Nachhinein erfahren - hat Martin Müller fünf Millionen Euro in Aktien für den KSC investiert und war wohl nicht damit einverstanden, dass mit der unüberlegten Entlassung von Oliver Kreuzer wohl knapp 1 Million Euro "verbraten" wurden. Wie immer, muss man wohl auch hier die Angelegenheit von allen Seiten betrachten.
Für mich erstaunlich war, dass Vizepräsident Günter Pilarsky, der ebenfalls mit fünf Millionen am Verein beteiligt sein soll, kein einziges Wort zu all den Vorfällen äußerte. Mir ist bekannt, dass er bei diesen Veranstaltungen schon immer sehr wortkarg ist, aber mich hätte auch mal seine Meinung zu alledem interessiert.
Um 23:43 Uhr war dann die Versammlung beendet.
Nun wollen wir hoffen, dass nach der vielen Worte, Präsentationen und Beteuerungen nun auch die entsprechenden Taten folgen. Der Verein hat nicht das Geld, um weitere kostspieligen Verfehlungen hinzunehmen und ich denke, dass sich solche negativen Schlagzeilen auch auf der sportlichen Seite negativ auswirken.
7. Dezember 2023